Tödlich und heilsam

Mit der folgenden Geschichte verabreichen wir euch eine ordentliche Dosis Wissen – Wissen über Gift. Über diese Wunderwaffe der Natur, die töten und heilen kann – je nachdem, wie viel man zu sich nimmt …

Text: Katharina Beckmann

Der Tod kommt mit der Hauptspeise. Die Sklaven servieren gefüllte Hühnchen und Schnecken. Sie tischen duftendes Brot auf, aber auch exotische Speisen: orientalische Teigtaschen, dazu ein Pilzgericht. Kaiser Claudius, der Rom seit 13 Jahren regiert, langt kräftig zu. Plötzlich verzerrt sich sein Gesicht, er greift sich an den Bauch und stöhnt. Claudius schafft es gerade noch, sich in seine Gemächer zu schleppen. Krämpfe schütteln seinen Leib, stundenlang. Als der 13. Oktober 54 anbricht, stirbt der römische Kaiser. Durch einen hinterhältigen Mord, wie sich bald herausstellt.

Denn Claudius ist vergiftet worden. Vieles spricht dafür, dass seine Frau Agrippina dem verhassten Gatten das Gift ins Essen mischte: Wurzeln vom frisch erblühten „Blauen Eisenhut“, die schon in kleinen Mengen tödlich wirken: ein perfektes Gift, eine Wunderwaffe der Natur.

Seit Abermillionen Jahren schon produzieren Pflanzen wie der Blaue Eisenhut Giftstoffe, um Feinde fernzuhalten. Und von Tausenden Tierarten ist bekannt, dass sie ihre Beutetiere mit Gift zur Strecke bringen. Ihre giftigen „Cocktails“ sind dabei ganz unterschiedlich zusammengesetzt. Immer aber sind Toxine (vom altgriechischen toxikon = Pfeilgift) enthalten – Stoffe, die Mensch und Tier mindestens schädigen oder sogar töten können.

Zwei Beispiele nur: Im Gift der australischen Braunschlange, einer der gefährlichsten überhaupt, finden sich viele Hämotoxine. Diese lassen das Blut ihrer Opfer in den Adern stocken; kurz darauf bricht der Kreislauf der Beutetiere zusammen. Die Schlange kann sie dann in Seelenruhe vertilgen. Die farbenfrohen Baumsteiger-Frösche dagegen tragen ihr Gift auf der Haut. In diesem dünnen Film wirken Neurotoxine. Kommt ein anderes Tier damit in Berührung, wird es bewegungsunfähig. Denn das Gift unterbricht die Verbindung zwischen Nerven, die etwa den Muskeln „befehlen“, sich zusammenzuziehen.

Die Indianer in den Regenwäldern des heutigen Panama und Kolumbien – der Heimat der Baumsteiger-Frösche – machten sich die Giftzwerge irgendwann zu Jagd-Gehilfen. Sie strichen die Spitzen ihrer Pfeile mit Froschgift ein. Die Indianer zählen damit vermutlich zu den ersten Menschen, die Gift für sich nutzten.

Viele andere Kulturen taten es ihnen im Verlauf der Zeit gleich: Die Bewohner einer Stadt im heutigen Irak etwa verteidigten sich einst mit Kübeln voll giftiger Skorpione gegen die römischen Belagerer. Andere schmissen den Römern Giftschlangen auf die Decks ihrer Galeeren. In den Palästen waren Tier- und Pflanzengifte da längst zu beliebten Waffen geworden, weil sie so wirkungsvoll und gleichzeitig so unauffällig sind. Die Samen des Blauen Eisenhuts etwa riechen nach nichts und schmecken auch nicht ungewöhnlich; man kann sie kaum nachweisen.

Aber es wäre falsch, in einer Geschichte über Gift nur von Tod und Heimtücke zu erzählen. Denn Menschen haben sich Gifte seit jeher auch auf andere Weise zunutze gemacht: als Heilmittel. Der griechische Arzt Hippokrates zum Beispiel behandelte bereits im 5. Jahrhundert vor Christus Krebskranke mit dem Nervengift Arsen. Der Gelehrte hoffte, dass dieses allein die Geschwüre absterben ließe und nicht die Menschen. Er ahnte schon, dass ein Stoff sowohl Gift als auch Arznei sein kann. Wie zum Beweis gibt es im Altgriechischen auch nur ein Wort für beides: pharmakon.

Erst rund 1000 Jahre später entdeckt dann ein gewisser Theophrastus von Hohenheim, besser bekannt unter dem Namen Paracelsus, was den Unterschied begründet: Die Dosis macht das Gift! Dieser Grundsatz, den der Wunderheiler um 1538 formuliert, ist bis heute gültig. Denn nicht der Stoff an sich bestimmt die Wirkung, sondern die Menge, die man davon zu sich nimmt. So können tödliche Stoffe unschädlich oder im besten Falle sogar heilsam sein, wenn die Dosis nur gering genug ist. Im Gegenzug aber können sogar die vermeintlich harmlosesten Dinge schaden, wenn die Dosis zu hoch ist. Ja sogar Wasser! Trinkt man etwa zehn bis 15 Liter auf einmal, verwässert das Blut so sehr, dass Gehirn, Muskeln und Herz nicht mehr richtig funktionieren.

Paracelus’ ganzes Leben drehte sich um diese Magie der Menge. Er wollte herausfinden, welche Stoffe in welchen Mengen wie wirken. Und wo der schmale Grat zwischen Heilen und Töten verläuft.

Genau diese Fragen beschäftigen Toxikologen (Giftforscher) bis heute. Mittlerweile wissen sie etwa, dass Botulinum-Toxine, kurz Botox, die stärksten natürlichen Gifte sind, die Menschen kennen. Ein einziger Esslöffel davon reichte aus, um die Bevölkerung Deutschlands umzubringen. Denn Botox lähmt die Nerven und dadurch auch die Muskeln. Abertausendfach verdünnt jedoch ist es ein wirksames Mittel gegen extreme Muskelkrämpfe, Migräne und – Gesichtsfalten. Und auch der Blaue Eisenhut, der Kaiser Claudius umbrachte, ist heute ein bewährtes Heilmittel: als Wirkstoff in Erkältungs-Medikamenten.

Text zur Verfügung gestellt von GEOlino

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