Der unscheinbare Alleskönner

Es reflektiert Licht wie ein Spiegel, wärmt Erdteile und ist derart stabil, dass Tiere darauf laufen können: Kaum ein Stoff ist so seltsam wie Wasser – und für uns so wichtig. Schon allein deshalb, weil wir selbst zum größten Teil aus Wasser bestehen …

Text: Stefan Greschik

Zugegeben, auf den ersten Blick kann man Wasser für einen ziemlichen Langweiler halten: Es hat keine Farbe. Es riecht nach nichts und schmeckt nach nichts, und sein Anteil am Gewicht unserer Erde beträgt weit weniger als ein Zehntelprozent. Wie kümmerlich! Schon ertappt man seine Finger dabei, wie sie zu spannenderen Themen umblättern wollen. Zu den Plumploris etwa oder zum Comic …

Doch halt! Geben wir dem unscheinbaren Stoff doch mal eine Chance. Denn wahr ist auch: Wenige Dinge faszinieren Forscher so sehr und sind für unser Leben so wichtig wie Wasser. Es fängt schon damit an, dass wir alle mehr oder weniger Wasserwesen sind: Wer beispielsweise 50 Kilo wiegt, speichert rund 35 Kilo der Flüssigkeit in seinem Körper. Unser Gehirn besteht zu drei Vierteln daraus, die Muskeln sogar zu vier Fünfteln! Ohne das viele Wasser in unseren Zellen würden wir verschrumpeln wie ein alter Apfel. Und unser Denkapparat wäre außer Betrieb wie ein Computer ohne Strom

Wasser hat aber noch andere seltsame Eigenschaften: Es ballt sich zu Kugeln zusammen, und manche Tiere können sogar auf ihm laufen. Es löst viele Stoffe im Handumdrehen und kann riesige Mengen an Wärme aufnehmen. Seht euch nur den Golfstrom im Atlantik an: Der befördert Warmwasser aus der tropischen Karibik zu uns und sorgt so für mildes Klima in Europa. Ohne diese „Heizung“ würde es uns im Winter ergehen wie den Menschen in Sibirien. Die bibbern im Januar oft bei minus 50 Grad Celsius! 

Warum aber ist Wasser ein so besonderer Stoff? Um das zu verstehen, müssen wir uns die Teilchen anschauen, aus denen es besteht – die Wassermoleküle. In jedem Liter schwirren ungefähr 33 Quadrillionen davon herum. Jedes Molekül besteht aus drei noch kleineren Teilchen: aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom. Weil Chemiker Wasserstoff und Sauerstoff mit H und O abkürzen, nennt man Wasser auch H2O.

Mit etwas Fantasie sieht so ein Wassermolekül übrigens aus – wie wir! Stellen wir uns vor, der Sauerstoff sei unser Körper. Nun strecken wir die Arme seitlich nach oben. Dort sitzen die Wasserstoffatome. Anstelle der Beine besitzt der Sauerstoff zwei Wolken aus Elektronen. Das sind andere Miniteilchen, die im Molekül wirken wie ein Klebstoff.

Da sich Wasserstoffatome und Elektronenwolken anziehen, verhalten sich die Wasserteilchen untereinander ein bisschen wie Menschen, die im Schwimmbad herumtoben und ständig versuchen, mit ihren Händen andere am Bein zu packen. Manchmal gelingt das, und die Teilchen verbinden sich. Dann reißen sie sich wieder los, schwirren ein Stück weiter, verbinden sich von Neuem – und so weiter. Ein komischer Zustand: Die Moleküle können sich bewegen – aber sie sind nie ganz frei, weil ständig irgendwelche Nachbarn an ihnen hängen.

Diese Anhänglichkeit hat Folgen; das erkennt ihr an jedem Wasserspritzer. Er läuft nicht auseinander, sondern zieht sich zu einem Tropfen zusammen, weil die inneren Wassermoleküle die äußeren zu sich ziehen. Wasseroberflächen werden dadurch so stabil, dass kleine Tiere darauf herumspazieren können, zum Beispiel Wasserläufer.

Eine weitere Folge: Wasser kocht erst bei viel höherer Temperatur als chemisch vergleichbare Stoffe, wie etwa Schwefelwasserstoff. Denn kochen heißt ja, dass Teilchen aus einer Flüssigkeit in die Luft abzischen, also gasförmig werden – und das ist eben schwer, wenn man die ganze Zeit festgehalten wird. Zum Glück! Sonst würde Wasser auf der Erde gar nicht als Flüssigkeit vorkommen. Alle Meere, Seen und Ströme wären längst verdampft! Aus diesem Grund ist Wasser übrigens auch ein prima Wärmespeicher. Die Sonne etwa kann darauf brennen, so stark sie will. Die Wasserteilchen schlucken die Wärmeenergie einfach. Danach zappeln sie ein bisschen schneller. Aber es dauert ewig, bis sie sich losreißen.

Und warum bestehen wir nun aus Wasser? Das liegt daran, dass die Moleküle nicht nur ihresgleichen anziehen. Sie klammern sich auch an andere Stoffe in den Körperzellen – an Eiweiße etwa oder an unser Erbgut, die DNS. Deshalb laufen wir auch nicht aus, obwohl wir randvoll sind mit Wasser, sondern fühlen uns eher wabblig an – etwa wie eine große Portion Gelee.

Viele andere Stoffe bleiben bei der Umklammerung übrigens nicht so stabil. Zum Beispiel Salz: Dessen Teilchen schwimmen mit den Wassermolekülen davon, bis sie sich aufgelöst haben.

So seltsam sich Wasser bei festen Stoffen verhält, so schräg wirkt es auch auf Licht. Ob rot, ob blau oder gelb – die meisten Lichtteilchen lässt es einfach durch sich hindurchfliegen. Wasser zählt deshalb zu den wenigen Stoffen, die durchsichtig sind. Zum Glück, denn Pflanzen unter Wasser sind auf die Sonnenstrahlen als Energiequelle angewiesen. Und viele Fische auf die Pflanzen als Nahrung.

Allerdings gilt für Lichtteilchen im Wasser eine strenge Höchstgeschwindigkeit: Statt mit fast 300 000 Kilometer pro Sekunde wie an der Luft kommen sie nämlich nur mit Tempo 225 000 vorwärts. Wasser ist also nicht nur für uns, sondern auch für Licht ziemlich zäh. Das führt dazu, dass Licht im Wasser abgelenkt wird. Sonnenstrahlen bekommen etwa an der Oberfläche einen regelrechten Knick. Deshalb sehen wir Gegenstände im Wasser an anderer Stelle, als sie sich in Wirklichkeit befinden. Vögel, die nach Fischen jagen, müssen diesen Knick in der Optik immer einrechnen, um Beute zu machen. Einige Lichtteilchen prallen sogar vom Wasser zurück. Das führt dazu, dass wir uns in glatten Wasseroberflächen spiegeln.

Text zur Verfügung gestellt von GEOlino

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